Notizen

Es ging nicht ums Vereinfachen, sondern ums Verändern

"Die neuen Richtungen 'vermehrte Grossschreibung' und 'Getrenntschreibung' als opportunistische Reformertaktiken zur Rettung ihres Berufungsbewusstseins nach dem Scheitern der Kleinschreibungsreform sind sprachgeschichtlich fragwürdig", schrieb Peter von Polenz (Deutsche Sprachgeschichte, 3. Band, 1999). Vor allem zwei neue Regeln zeigen, dass es den Reformern hauptsächlich darum ging, ihre Duftmarke zu hinterlassen: die Regel, dass in lateinischen und griechischen Fügungen und Fügungen aus romanischen Sprachen Substantive gross zu schreiben sind: Ultima Ratio usw. Das verlangt vom Schreiber eine Wortartbestimmung in einer fremden Sprache (die selbst gar keine Grossschreibung der Substantive kennt!), etwas, was komplett im Gegensatz zum Anspruch des Vereinfachens steht. Die bisherige Regel "erstes Wort gross, Rest klein" war dagegen unschlagbar einfach. Zweitens die Aufnahme der Variante Albtraum, mit dem Hinweis, dass Alptraum etymologisch falsch sei. Das steht im Gegensatz zu den neuen falschen Herleitungen wie Quäntchen, Zierrat, nummerieren usw., bei denen die richtige Schreibweise nicht einmal mehr als Variante gültig ist.

Never touch a running system!

IT-Verantwortliche wissen: Never touch a running system. Und wenn es doch sein muss, wird das alte, funktionierende System auf Reserve gehalten, damit es sofort wieder aktiviert werden kann, wenn es mit dem neuen nicht klappt. Genau so hätte man, nachdem die Reform sich als Flop herausgestellt hat, auch bei der Rechtschreibung verfahren müssen. Leider haben sich die Reformgegner nicht für dieses naheliegende Vorgehen zusammenfinden können; zu viele haben von einer noch weiter gehenden Reform (Kleinschreibung) geträumt oder eine „endlich vernünftige“ Rechtschreibung ohne die „Haarspaltereien“ des früheren Duden gewünscht. Dieses sogar im Kreis der Reformgegner beliebte Duden-Bashing verkennt, daß der Duden bis 1991 die Rechtschreibung festlegen, nicht freistellen wollte – gemäss Schreibgebrauch, wie wir doch wohlwollend annehmen wollen. Heerscharen von Sekretärinnen, die graphische Industrie und alle, die gelegentlich Texte verfassen müssen, wollen nämlich schlicht wissen, wie sie etwas schreiben sollen, um danach unerquickliche – und letztlich kostentreibende – Diskussionen mit dem Chef, mit dem Autor zu vermeiden. Sie wollen keine Varianten. Festlegen nach überwiegendem Schreibgebrauch führt aber zwangsläufig zu „Haarspaltereien“ und Unlogischem; der Sprachgebrauch ist nicht „logisch“. Die Grenze kann dann eben mitten durch Auto fahren und radfahren, durch in bezug und mit Bezug gehen. Klar ist es vollkommen verfehlt, wenn Lehrer abweichende, aber grammatisch richtige Schreibweisen als Fehler bewerten. Das Problem hätte man lösen können: mit einer Variantenführung, wie sie heute (so war es allerdings nicht gemeint!) von Duden und Wahrig praktiziert wird. Wie schön wäre es gewesen, Professor Ickler hätte in seinem Wörterbuch bei konkurrierenden Varianten die „bessere Schreibung“ markiert! Dann hätten wir die Rechtschreibung gehabt, die allen dient, der Schule und denjenigen, die eine Einheitsorthographie brauchen. Statt dessen haben wir nun einen unerträglichen Mischmasch von formalen und semantischen Kriterien, ärgerliche Pedanterien, alberne Herleitungen und längst überholt geglaubte Großschreibungen sowie eine Variantenflut, die Dutzende von Hausorthographien produziert.

aufwendig oder aufwändig?

Manche der reformierten Schreibweisen sind Symbole, handliche Beweise dafür, dass „man“ fortschrittlich ist. In Deutschland erfüllt diese Funktion die „neue“, in Wirklichkeit alte Heysesche s-Regel. In fast jedem Text kommt das Wort dass (herkömmlich: daß) vor; mit der Schreibweise dass läßt sich leicht und rasch signalisieren ist, dass der Schreiber fortschrittlich und der Text in reformierter Schreibweise gehalten ist (oder besser vorgibt, gehalten zu sein, denn sehr häufig hapert es mit den übrigen reformierten Schreibweisen im gleichen Text). 

In der Schweiz erfüllt diese Funktion ganz offensichtlich das Wörtchen aufwändig. Was ist dagegen einzuwenden?

Im 19. Jahrhundert gab es in vielen Fällen noch schwankende Schreibweisen für e/ä: die Ältern/Eltern, ämsig/emsig, Ärmel/Ermel u.a. 1901 hat man die Schreibweisen festgelegt, darunter auch aufwendig. Ausschlaggebend war wohl der überwiegende Sprachgebrauch, aber auch die auf der Hand liegende sogenannte Reihenbildung mit auswendig, notwendig usw.

Niemand hat sich seither daran gestört, alle schrieben ganz selbstverständlich die festgelegten Schreibweisen. Dann kamen die Reformer, genauer gesagt der Reformer Augst, und pickten sich willkürlich und mit abenteuerlichen Begründungen einige Wörter heraus und änderten sie auf ä: Stängel, Gämse, Quäntchen, einbläuen, behände, belämmert u.a. Es ist überliefert, dass sich die anderen Mitglieder der damaligen Zwischenstaatlichen Kommission hinter Augsts Rücken lustig über diese Volksetymologie machten.

Bei aufwendig hatten sie immerhin noch genügend Bedenken, beide Formen gelten zu lassen – von Anfang an, nicht wie bei anderen, erst im Jahre 2000 (aufsehenerregend) oder 2004 (darunterfallen, sogenannt) wieder eingeführten Formen: aufwendig (von aufwenden) / aufwändig (von Aufwand).

Dagegen sind mindestens fünf schwerwiegende Gründe anzuführen, deren jeder einzelne genügen müsste, bei der herkömmlichen Schreibweise aufwendig zu bleiben:

1. aufwendig ist genauso von aufwenden abgeleitet wie wendig von wenden. Das Verb ist die Hauptwortart. aufwendig ist 100 bis 200 Jahre älter als Aufwand. Dieses ist im 18 Jh. als Kurzform von Aufwendung gebildet worden, es handelt sich um eine Wortfamilie mit dem Stamm wenden, belegt seit dem 16. Jh. (aufwenden, abwenden, einwenden, entwenden, anwenden, verwenden, zuwenden usw.). (Duden Band 7, 2001) Man sollte dieses deshalb nicht künstlich von Aufwand ableiten.

2. Man sollte nicht ohne sehr wichtigen Grund vertraute Wortbilder verändern. Einen solchen wichtigen Grund gibt es hier keinesfalls, die Schreibweise aufwendig war vor der Reform vollständig akzeptiert und passt in die Reihe notwendig, auswendig usw.

3. Die auf ä veränderten Formen sind völlig willkürlich herausgepickt. Wäre man konsequent, müsste man auch belägt (von Belag), dänken (von Gedanken), die Ädlen (von Adel), Spängler (von Spange), käntern (von Kante), mässen (von Maß), sätzen (von Satz), frässen (von Fraß), Kräbs (von krabbeln) und Dutzende, wenn nicht Hunderte weiterer Wörter verändern (oder die ä-Form ebenfalls zulassen), darunter natürlich auch aufwänden und Aufwändungen.

4. aufwändig führt zu falschen Analogiebildungen wie Aufwändungen, auswändig, inwändig, notwändig (findet sich bereits zuhauf im Web mit Hilfe von Google): „Dies bei Aufwändungen von rund 4,360 Millionen Franken.“ (BZ vom 7.7.2005)

5. Die Variantenschreibung steht dem Gebot der Einheitlichkeit der Rechtschreibung entgegen. Diese Einheitlichkeit zu bewahren (inzwischen ist sie verloren), war der Hauptauftrag an die Reformer.